Die Sache mit der Genügsamkeit

 

Vielleicht kennt ihr das auch. Man liegt im Krankenhaus, ist gelangweilt und frustriert und scrollt sich so durch soziale Medien oder ruft Freunde an. Um seiner eigenen Situation zu entfliehen und mal was anderes zu sehen oder zu hören.

 

Gerade am Wochenende ziehen sich die Tage im Krankenhaus wie zäher Kaugummi. Man wird sehr früh geweckt, oft schon um 6 Uhr für Blutentnahmen, das Leeren von diversen Drainagen, Beuteln etc. oder auch einfach nur, weil sich der Frühdienst vorstellen möchte. Und dann liegt man wach, wartete darauf, dass das Frühstück serviert wird, sofern man eines bekommt und versucht dann irgendwie die Zeit bis zum Mittagessen und dann wieder Abendessen zu überbrücken. Noch schlimmer ist es, wenn man gerade nicht essen darf, dann passiert nämlich den ganzen Tag gar nichts. Am Wochenende werden nur die notwendigsten Dinge erledigt und wenn man nicht gerade ein Notfall ist oder irgendwelche Medikamente angehängt werden müssen oder ähnliches, dann sieht man den Großteil des Tages nicht einmal Pflegepersonal.

 

Freunde kann man oft nicht erreichen. Die treffen sich nämlich mit anderen Freunden, oder sind im Urlaub, manche arbeiten auch oder besuchen Festivals, Partys etc. Kurzum deren Wochenende ist in der Regel prall gefüllt und vergeht wie im Flug. Auf Instagram oder Facebook kann man dann auch noch live sehen und lesen was sie tolles erleben, während man selbst - genau - gar nichts erlebt.

 

Als ich letztes Jahr fast durchgängig im Krankenhaus lag, hatte ich das Gefühl, dass ich mein gesellschaftliches Soll nicht erfüllt habe. Ich habe weder eine Beförderung bekommen, noch einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut, geheiratet, ein Kind bekommen, ja nichtmal ein Festival besucht. Ich hab mich ungenügend gefühlt und mein Leben hat sich leer im Vergleich zu dem meiner Freunde angefühlt. Die konnten Reisen, Hochzeiten, Verlobungen, Geburten und Wohnungskäufe vorweisen.

 

Überall liest man, dass man alles erreichen kann, wenn man nur motiviert ist und hart genug dafür arbeitet, ganz gleich ob Job, Bauchmuskeln oder Traumreisen. Aber mit der Gesundheit ist es anders. Man kann sich nicht aussuchen, ob man gesund oder krank ist. Man kann nicht weltmeisterlich Medikamente schlucken oder OPs absolvieren. Egal wieviel man davon hinter sich hat, es gibt weder eine Medaille noch eine Bauprämie. Aber vielleicht einen Tag mehr Leben und das ist doch das wertvollste überhaupt.

 

Während meine Freunde arbeiten waren, verreist sind und geheiratet haben, habe ich um mein Leben gekämpft. Aber das wird auf Instagram nicht so gefeiert wie eine perfekt angeordnete Smoothie-Bowl, weil es Angst macht und verdammt hart ist. Weil man es sich nicht wirklich vorstellen kann, wenn man es nicht durchgemacht hat. Und weil wir Menschen gerne alles Negative verdrängen und so tun als wäre alles super und wunderschön rosa, nur deshalb gibt es Instagram überhaupt. Und irgendwann tut man besser darin, sich damit zu genügen man selbst zu sein. Dankbar dafür zu sein zu leben und akzeptieren, dass man das, was die gesunden Freunde schaffen und erreichen eben nicht erreichen wird oder zumindest nicht so schnell. Es ist absolut ok, wenn man nicht arbeiten kann. Es ist ok auch mit 30 wieder bei den Eltern zu wohnen. Es ist verdammt nochmal ok abends ins Bett zu gehen und nichts anderes "geleistet" zu haben als essen und Medikamente einnehmen. Es ist okay für was auch immer keine Energie zu haben. Denn Krankheiten ziehen verdammt viel Energie und alleine damit zu leben ist bewundernswert genug. Wenn ihr jetzt sagt "ich möchte aber trotz CED dieses und jenes können/schaffen/erreichen", dann ist das auch ok. Ein Ziel vor Augen zu haben, ist nichts schlechtes. Es kann einem helfen weiter zu machen, nicht aufzugeben. Aber bitte setzt euch realistische Ziele und vergleicht euch dabei nicht mit gesunden Gleichaltrigen, vergleicht euch am besten mit niemanden. Denn selbst CED kann so unterschiedliche Auswirkungen haben. Ich kenne an CED Erkrankte, die schwerbehindert sind und frühzeitig berentet wurden, aber genauso kenne ich CED-Erkrankte, die seit mehr als 30 Jahren ihrem Job nachgehen. Vergleiche führen nur zu Gefühlen wie Unzulänglichkeit, Frustration und Traurigkeit. Während Frust und Trauer zu solchen Diagnosen auch mal dazu gehören und sein dürfen, braucht sich kein Erkrankter unzulänglich zu fühlen. Wir sind alle gut so wie wir sind und vor allem genug. Je eher man damit Frieden schließt, desto früher kann man genügsam durchs Leben gehen. Und Genügsamkeit fühlt sich wirklich toll an!

 

PS: Glaubt bitte nicht, dass ich diese Sache mit der Genügsamkeit gemeistert habe. Das ist ein tägliches lernen und weiterentwickeln. Aber wenn ich mich mal wieder dabei erwische, dass ich mich vergleiche und sich Enttäuschung breit macht, dann erinnere ich mich daran, dass das kein gerechter Vergleich ist und ich viel geschafft habe. Auch wenn man das nicht an einem Gehaltscheck oder Grundstücksurkunden messen kann.

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